Angeniet Berkers im April 2024
bei der Buchvorstellung in Utrecht ©dsk
Beim Klick aufs Bild gibts weitere Fotos



Rosa und hellblau, daumendick und bildbandgroß:
Angeniet Berkers Buch über
„Lebensborn – Birth Politics in the Third Reich“
 

Vor kurzem war ich in Utrecht. Zeit für die Stadt hatte ich eingeplant, der Anlass war allerdings ein anderer: Die holländische Fotografin Angeniet Berkers stellte ihr Buch über den Lebensborn vor. Fünf Jahre hat sie daran gearbeitet, ist herumgereist, hat Orte in Deutschland, Österreich und Norwegen besucht – und vor allem Menschen getroffen, gesprochen und fotografiert. Frauen und Männer, die im Lebensborn geboren sind, die geraubt und „germanisiert“ wurden, wobei der Lebensborn seine schmutzigen Hände im Spiel hatte. Die meisten sind mehr oder weniger bekannt, haben ihre Geschichte erzählt, waren in den Medien und vor Gericht, um Anerkennung und Entschädigung einzuklagen: Gisela Heidenreich und Michael Sturm, Ingrid von Oelhafen und Hermann Lüdeking, Gerd Fleischer und Paul Hansen, Paul-Erik Vollmerhaus, Karin XY und Svein Vogel Ødengaard. Der macht allerdings in Berkers Buch seine Geschichte zum ersten Mal öffentlich.

Aber das ist nicht das einzige Neue und vor allem Besondere von „Lebensborn - Birth Politics in the Third Reich“. Da sind – kein Wunder bei einer Fotografin - vor allem die Fotos. Für ihr Buch hat Berkers viele Objekte und Dokumente aufgespürt und fotografiert: Instrumente zur „Rassenprüfung“, eine Kinder-Haarlocke, alte Fotoalben, auf dem Speicher gestapelte Kinderbettchen aus der Lebensbornzeit, einen originalen Teddy ... Dazwischen setzt sie im Buch immer wieder Fotos der ehemaligen Heime, damals und heute, außen und innen. Und Landschaften, das norwegische Fjell, einen deutschen Wald, eine Wiese und immer wieder einzelne Bäume … Fotos, die Stimmungen erzeugen – und ein Durchatmen erlauben.

Am Spannendsten finde ich die Porträts. Berkers ist es gelungen, die Protagonistinnen und Protagonisten in einer Un-Verstelltheit zu zeigen, die in meinen Augen einzigartig ist. Sicher liegt das an ihrer Anteilnahme. Dass sie nicht „nur“ fotografiert, sondern Zeit mitgebracht und zugehört hat, vermutlich stundenlang. Vielleicht liegt es auch am Alter der mittlerweile Achtzigjährigen, die nach Recherchen, Kämpfen und Tränen Frieden mit ihrer Geschichte geschlossen haben …
Besonders ist auch die Struktur des Buches. Es geht chronologisch vor, aber mit selbstgesetzten Schwerpunkten. Den Anfang machen die Jahre, in denen die Nationalsozialisten ihre Rassenpolitik installierten. Mit Objekten und Dokumenten gelingt Berkers eine Anschaulichkeit, die sich hervorragend im Unterricht einsetzen ließe. Es folgen Jahre, die in den Biografien eine Rolle spielen: 1942 werden Ingrid
von Oelhafen und Hermann Lüdeking – beide Raubkinder – in ihre Pflegefamilien vermittelt, vom Lebensborn. 1946 erfährt Gisela Heidenreich, dass ihre Tante ihre Mutter ist. 1953 trifft Paul-Erik Vollmerhaus zum ersten Mal seinen Vater. 2008 macht sich Michael Sturm - von seinen Kindern gedrängt – auf die Suche nach seinem Täter-Vater …

Der Text - den gibt es in diesem Fotobuch auch, und zwar nicht zu knapp – kommt nüchtern daher, klar, sachlich, korrekt. Er bildet den adäquaten Hintergrund für die sprechenden, berührenden Fotos, die den Ton des Buches bestimmen. Der englische Text ist für Menschen ohne diese Sprache natürlich ein Problem, aber Berkers will einfach, dass ihr Buch nicht nur in den Niederlanden, wo bisher wenig über Lebensborn bekannt ist, sondern international rezipiert wird. Das Cover – hellblauer Grund, ein rosa Teddy, eine massiv-schwarze Lebensrune, die die rosa-hellblaue Idylle zerstört – ist auf jeden Fall ein Hingucker!

Letzte Meldung: Gerade hat Berkers für ihr Buch beim „Belfast Photo Festival“ einen Preis bekommen. Glückwunsch!

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