Übung im Babywickeln, laut Fotograf in der "Reichsbräuteschule" Schwanenwerder ©Bryan
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"Man wird auf allen Gebieten ... ausgerichtet"
Bräuteschulen der SS
 

Je länger ich über den Lebensborn arbeite, desto stärker rücken Orte oder Institutionen in meinen Blick, die das Lebensborn-Terrain am Rande berühren, personell, organisatorisch … Das Stettiner Kriegsmütterheim zum Beispiel, in dem Lebensborn-Mütter mit ihren Kindern unterkommen konnten (siehe den vorangegangenen Blog-Beitrag). Oder die „SS-Bräuteschulen“ …

Zum ersten Mal ist mir das Wort bei der Nachfrage zu einem Interview begegnet. Ein Nachbar des ehemaligen Lebensborn-Heims „Friesland“ (bei Bremen) wies mich darauf hin, dass es in „Edewecht am Kanal“ auch ein Lebensborn-Heim gegeben habe. Westlich von Oldenburg, knapp 60 Kilometer von Bremen entfernt. Ich ging der Sache nach und erfuhr von einem Regional-Historiker: Tatsächlich hatte es in Edewecht, genauer in Husbäke eine Einrichtung der SS gegeben. Allerdings kein Lebensborn-Heim, sondern eine so genannte „Bräuteschule“ – für Frauen, die einen SS-Angehörigen heiraten wollten. Die Kombination „auswärtige junge Frauen“ und „SS“ hatte ausgereicht, um die Fantasie der Umgebung zu befeuern und aus dem Haus ein Lebensborn-Heim zu machen. Ich beschloss, bei Gelegenheit dort mal vorbeizufahren.

Ein paar Jahre später interviewte ich eine Lebensborn-Mutter und -Angestellte. Nach der Entbindung im bayerischen Lebensborn-Heim war sie als Sekretärin ins Heim „Kurmark“ gegangen und hatte dort den Schwager des Heimleiters kennengelernt. Die beiden verliebten sich, verlobten sich … und bevor sie heirateten, absolvierte die Braut einen Sechs-Wochen-Kurs in einer „Bräuteschule“. Ausgerechnet in Edewecht am Kanal!
Seit 1936 mussten Bräute von SS-Angehörigen (später auch von hauptamtlichen SA-, HJ-, RAD- und Wehrmachtsangehörigen) vor der Hochzeit entweder eine Prüfung über ihre Qualifikation als Hausfrau ablegen – oder diese in einer „Bräuteschule“ erwerben. Das hatten der "Reichsführer SS" Heinrich Himmler und die „Reichsfrauenführerin“ Gertrud Scholtz-Klink vereinbart.
Im "NS-Frauenkalender 1938" heißt es über die Bräuteschulen:

„Vor allen Dingen lernen die Mädchen in dem Lehrgang für Haushaltsführung die Grundzüge einer durchdachten sparsamen Wirtschaft kennen ... Ebenso wichtig ist es, daß die SS-Braut das Grundsätzliche … in Gesundheitsführung erfährt, weil ihr damit die wichtigsten Gesichtspunkte der Erb- und Rassenpflege, der Bevölkerungspolitik, der Gesunderhaltung und der Förderung des Gesunden gezeigt werden …“ Und so weiter und so fort!

Konkreteres erfuhr ich aus Briefen, die mir meine Interviewpartnerin zur Lektüre überließ. Darin hatte sie ihrem Verlobten vom Leben in der „Bräuteschule“ Edewecht erzählt: Von anderen Frauen, die sich mit einem Vorzeige-Foto ihres Verlobten auf dem Nachttisch brüsteten. Von der mustergültig-deutschen Einrichtung des Hauses. Und vom Unterrichtsstoff:

„Heimgestaltung, Basteln, Kochen, Backen, Nähen, Bügeln, Waschen, Singen, Turnen, Tanzen, (Volkst.), Erziehungslehre, Anstandsunterricht und dann noch landwirtschaftliche-häusliche Gesundheits- u. Säuglingspflege ... Man wird so gewissermaßen auf allen Gebieten angeregt und ausgerichtet.“

Die Frauen sollten eben nicht nur "gute" Hausfrauen, Mütter und Gattinnen werden, sondern auch „gute Nationalsozialistinnen“. „Ausgerichtet“ auf die NS-Ideologie, vertraut mit den Sitten der SS-Sippengemeinschaft, in die sie mit der Eheschließung aufgenommen wurden.

Schließlich meine dritte Begegnung mit einer „Bräuteschule“, zu der mir ein Lebensborn-Kind verhalf. Er hatte beim Blick auf ein Archivfoto (siehe nebenstehend) seine Mutter entdeckt: Sie stand, umgeben von ein paar jungen Frauen, und schaute einer Übung im Baby-Wickeln zu. Offenbar unterrichtete sie die anderen, in der „Reichsbräuteschule Schwanenwerder“, wie die Bildunterschrift erklärte. Klar, die Mutter war gelernte Hauswirtschafterin – die Tätigkeit in besagter „Reichsbräuteschule“ hatte sie allerdings nie erwähnt. Wie vieles andere auch.

Die Villa am Berliner Wannsee war die erste SS-Bräuteschule. Idyllisch gelegen auf einer kleinen Insel, umgeben von Nachbarn, die zur NS-Führung gehörten (Goebbels, Speer, Scholtz-Klink) – in Häusern, aus denen die jüdischen Besitzer vertrieben worden waren.

Irgendwann bin ich nach Edewecht gefahren – das Haus stand leer, nichts erinnerte an die Zeiten, als hier praktischer und ideologischer Unterricht stattfand, unter der SS-Flagge. Neulich war ich auf Schwanenwerder. Von der ehemaligen „Reichsbräuteschule“ ist nichts mehr zu sehen. Die beiden Grundstücke sind verwildert, verwahrlost – vermutlich Spekulationsobjekte. Der Charakter der Insel hat sich übrigens nicht geändert: Hier residieren vor allem Großkopfeten …

Mehr über die SS-Bräuteschulen konnte ich bisher nicht herausfinden. Die Dokumentenlage ist mehr als schmal ...

PS: 1957 erschien ein Unterhaltungs-Roman mit dem Titel „Bräuteschule“ – und vor wenigen Jahren hat die ARD ihn als Vorlage für eine Doku-Soap genommen. Mit dem Titel hatte offenbar niemand ein Problem - nicht 1957, nicht 2006!
Einen kleinen Einblick ins damalige „Geschehen“ findet man in der
ARD-Mediathek.

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