Der Geburtsschein meines Vaters ©dsk
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Orte diskreter Geburt - vor 1933
 

Beim Aufräumen geriet mir neulich der „Geburtsschein“ meines Vaters in die Hände. Seltsamerweise ist das Dokument erst zehn Jahre nach der Geburt ausgestellt – und der Name des Erzeugers fehlt. Weil mein Vater „unehelich“ geboren ist?
Davon habe ich erst nach dem Tod meiner Großmutter in den 1970er Jahren erfahren. Bis dahin hieß es immer: Der Großvater sei im 1. Weltkrieg gefallen. Tatsächlich lebte er bis 1965.
Heute weiß ich: Großvater und Großmutter hatten eine mehrjährige Beziehung, die aus Standesgründen und unterschiedlicher Religionszugehörigkeit nicht „legitimiert“ wurde. Immerhin hat der Großvater die Vaterschaft anerkannt und in den ersten Lebensjahren des Kindes für die Geliebte und den Sohn gesorgt.
Zu dieser „Sorge“ gehörte auch eine diskrete Geburt. Meine Großmutter wurde von Essen (ihrem Arbeitsplatz) zur Geburt nach Bad Godesberg geschickt. In ein privates Entbindungsheim. Wie lange vor der Geburt? Zu welchen Konditionen? Keine Ahnung. Jedenfalls kehrte sie (wann?) in ihren Job zurück. Und das Baby, mein Vater, kam erst einmal zu Pflegeeltern.
Warum ich das erzähle? Weil das Beispiel zeigt, dass auch in Vor-Lebensborn-Zeiten Orte für diskrete Geburten existierten. Und weil ich mich frage, worin sie sich von der Lebensborn-Praxis unterschieden. In anderen Beispielen aus der Geschichte entdecke ich eher Parallelen …

Beispiel 1: Das Göttinger Geburtshospital. 1791 schrieb der Leiter, ein Professor Osiander, dass „zur Aufnahme in dieses Institut jede Schwangere, Verheuratete und Unverheuratete, Inländerin und Ausländerin, Christin und Jüdin, Weiße und Negerin fähig“ sei. Die meisten Frauen, das verschwieg der Professor nicht, waren unverheiratet und wollten die Geburt geheim halten. Mehr über dieses „Geburtshospital“, über die Klientinnen und deren Gegenleistungen (arme Frauen mussten sich als Forschungsobjekt zur Verfügung stellen) erfährt man in dem Buch „Verbotene Liebe, verborgene Kinder“ von Jürgen Schlumbohm.

Beispiel 2: Gut hundert Jahre später (1878) eröffnete Ernst Gottlieb Georg Berendt, Pfarrer im Berliner Frauengefängnis, außerhalb der Stadt (Weißensee) „Zufluchtsheime“ für seine „Schutzbefohlenen“. Ein paar Jahre später wurden dort auch andere Frauen aufgenommen: „Prostituierte, Trinkerinnen, Frauen von der Landstraße, geschlechtskranke Frauen, schwer erziehbare Mädchen, pflegebedürftige Frauen, schwangere Minderjährige und ledige Mütter“. Eine absurde Zusammenstellung – aus damaliger Sicht vermutlich alles Frauen, die „den Ansprüchen der wilhelminischen Gesellschaft nicht genügten.“ Sie sollten - einerseits - außer Sichtweite gebracht, andererseits versorgt und erzogen werden. Kommt einem mit Blick auf den Lebensborn-Kontext bekannt vor … Gefunden habe ich diese Informationen in Gerdien Jonkers Buch „Etwas hoffen muss das Herz“.

Beispiel 3: Am Anfang des 20. Jahrhunderts engagierten sich nicht wenige Frauen und Männer (Frauenbewegung, SPD) für ledige Mütter.  Zum Beispiel der „Bund für Mutterschutz und Sexualreform“, der nicht nur über Frauenrechte (z.B. Familien-, Unehelichkeits-, Abtreibungsrecht) debattierte, sondern auch praktisch agierte. Er eröffnete Beratungsstellen für unverheiratete Mütter und 1908 zwei Mütterheime, eins in Frankfurt, eins in Berlin (Wilmersdorf). Wie sie funktionierten, wer dort unterkam – offene Fragen.

Genaueres ist über Martha Wygodzinski (Ärztin, Sozialdemokratin, Berliner Stadtverordnete) und ihre Arbeit bekannt. Sie verstand sich als „Armenärztin“ und engagierte sich für Arbeiterinnen, Dienstmädchen und ledige Mütter. 1911 eröffnete sie mit einer Kollegin eine Poliklinik für Frauen (Berlin Mitte), wenig später in eigener Regie ein „Mütterhospiz“ (Berlin Pankow). Obdachlose Schwangere und Mütter mit ihren Kindern konnten dort für wenig Geld, im Notfall sogar kostenlos unterkommen. Und damit sie arbeiten gehen konnten, wurden die Kinder in einem hospizeigenen Kindergarten versorgt (wie in den Lebensborn-Mütterheimen). Was aus dem "Mütterhospiz" in der NS-Zeit wurde, ist nicht klar. Klar ist: Martha Wygodzinski verlor wegen ihrer jüdischen Wurzeln ihre Approbation, ihre Wohnung, ihr Vermögen – und ihr Leben. 1942 wurde sie, mittlerweile 73 Jahre alt, nach Theresienstadt deportiert, ein Jahr später war sie tot.

Im nächsten Blog geht´s um (Nicht-Lebensborn-)Entbindungsheime während der NS-Zeit. Wie arbeiteten sie – und vor allem: Was unterschied sie vom Lebensborn?

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