Ida Matthiessen (Mitte),
bevor sie Braune Schwester wurde
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Orte diskreter Geburt - seit 1933
 

Auch wenn die Nationalsozialisten seit der Machtübernahme massiv versuchten, soziale Einrichtungen und Verbände unter ihre Kontrolle zu bekommen - private Entbindungsheime existierten weiter. Das zeigt das Beispiel von Elke T. und Wolfgang S., beide unehelich geboren und später im Lebensborn gelandet.
Elke kam im April 1936 in „Kuhns Entbindungsheim“ in Herleshausen zur Welt -
weit weg vom Heimatort ihrer Eltern. Wolfgangs Eltern lebten in Hamburg, ihr Sohn wurde im Juni 1937 in einem privaten Heim in Niedersachswerfen/Harz geboren.
Wenig später übergab der Vater ihn dem Lebensborn. Der übernahm die Vormundschaft, brachte Wolfgang im „Heim Pommern“ unter und vermittelte Pflegeeltern. Elke war zwei, als sie zum Lebensborn-Kind wurde. Ihre Mutter hatte
eine Stelle als Hebamme im „Heim Wienerwald“ angetreten und nahm das Mädchen
zu sich.

Die Hebamme Ida Matthiessen betrieb seit 1932 ein eigenes Entbindungsheim
in Wernigerode. Ein paar Jahre später verkaufte sie das Etablissement an den Lebensborn und übernahm den Hebammen-Posten. Doch es gab Reibereien,
und als Matthiessen sich weigerte, ein fehlgebildetes Kind vor die Tür zu setzen
(es entsprach nicht der Gesundheitsideologie des Lebensborn), musste sie das
Heim verlassen. In Ungnade fiel sie allerdings nicht. Nachdem sie erneut ein
eigenes Entbindungsheim am Ort eröffnet hatte, schickte die Lebensborn-
Verwaltung ihr immer wieder Frauen zur Entbindung, die er selbst in seinen Heimen nicht unterbringen wollte. Die eine hatte einen – unglaublich, aber wahr – jüdischen Kindesvater, eine andere machte den Eindruck, zu anspruchsvoll zu sein.
Bei Ida Matthiessen kamen sie unter – die Lebensborn-Privilegien (Deckadresse, eigenes Standesamt, lange Aufenthaltsdauer etc.) konnte die Besitzerin ihnen allerdings nicht bieten.

Dem Beispiel des Lebensborn folgte die Deutsche Reichspost: 1938 eröffnete sie
ein eigenes Entbindungsheim in Berlin, unter der Leitung von Meta Ohnesorge, der Frau des Reichspostministers. Dort konnten ledige schwangere Postangestellte gebären – allerdings nur, wenn sie ein, später zwei Dienstjahre bei der Post abgeleistet hatten. Den Namen des Erzeugers mussten sie nicht angeben, es reichte eine mündliche Erklärung, dass er nicht eienr „artfremden Rasse“ angehöre.
Zwei Monate vor der Geburt wurden die Frauen vom Dienst beurlaubt (d.h. sie bekamen weiter Gehalt) und zogen im Heim „Am Rupenhorn 8“ ein. Nach der Entbindung konnten sie noch einmal zwei Monate dort bleiben – und das alles,
so die Dokumente, fast kostenlos. Danach wurden Mutter und Kind vom „Sozial-
werk“ der Reichspost weiter betreut. Die Unterstützung endete erst, wenn eine Frau heiratete. Darüber hinaus kümmerte sich die Reichspost darum, dass der Erzeuger seinen finanziellen Pflichten nachkam – wenn er denn benannt worden
war.
Hajo H. schrieb mir: Seine Großmutter, schwanger von einem verheirateten Mann,
war aus Schlesien ins Berliner Reichspost-Mütterheim gekommen. Nach der Entbindung hatte sie eine Zeit lang in Berlin gearbeitet und das Baby solange in
einem Heim untergebracht. Dann war sie versetzt worden, an einen Ort, wo niemand sie kannte. Den Namen des Erzeugers hat sie nie preisgegeben ...
Das alles klingt wie eine Lebensborn-Geschichte! Zwar gab es beim Reichspost-Heim kein eigenes Standesamt, aber dessen Funktion hatte der Gesetzgeber schon 1937 teilweise ausgehebelt: Uneheliche Geburten, die nicht am Wohnsitz der Mutter stattfanden, mussten seitdem nicht mehr dem Heimat-Standesamt gemeldet werden. Und seit 1937 durften unverheiratete Frauen auch die Anrede „Frau“ benutzen – für eine ledige Mutter ein Diskriminierungsfaktor weniger.

Auch die NSV, die größte Wohlfahrtsorganisation der NS-Zeit, versuchte immer wieder, eigene Entbindungsheime zu eröffnen, aus Prestige-, Macht- und Geld-
gründen. Von Anfang an betreute sie auch unverheiratete Schwangere, und hin und wieder gelang es ihr, ein kleines Haus für diese Frauen einzurichten. Aber erst 1942 gab Reichsgesundheitsführer Conti offiziell grünes Licht, NSV-eigene Entbindungs-
heime zu betreiben, für ausgebombte und evakuierte Frauen. Von Unverheirateten war dabei nicht die Rede - und von Geheimhaltung auch nicht.
Delf S. wurde im „NSV-Kriegsentbindungsheim“ in Oberhof/Thüringer Wald geboren.
Er schrieb mir: Seine Mutter, eine Säuglingsschwester aus Eisenberg, war im Dezember 1944 in dieses Heim gegangen, hatte ihn im Februar 1945 dort zur Welt gebracht und im örtlichen Standesamt angemeldet. Seit August 1944 war sie verheiratet, ihr Mann – ein Rottenführer der Waffen-SS, unter anderem im KZ-Buchenwald eingesetzt - musste wenige Tage nach der Hochzeit an die Ostfront. Im Februar 1945 galt er bereits als vermisst.
In einer anderen, abgelegenen Gegend, in Hahnenklee/Harz, hatte die NSV Anfang 1944 fünfzehn Heime, Hotels und Kurhäuser beschlagnahmt, um daraus Entbindungs-heime zu machen. Für die Aufbauphase wurde die NS-Schwester Leni von Radziewski engagiert, die vorher in verschiedenen Lebensborn-Heimen als Oberschwester gearbeitet hatte – zuletzt in „Heim Hochland“ in Steinhöring. Mit Gregor Ebner, dem dortigen Heimleiter und obersten Lebensborn-Arzt, stand sie seitdem in regem Briefkontakt. Auch andere ehemalige Lebensborn-Schwestern fanden sich in Hahnenklee ein, die NS-Schwester Ingeborg S. zum Beispiel, die mit ihrer kleinen Tochter – einem Lebensborn-Kind – hier wohnte und arbeitete.

Die alte Konkurrenz zwischen NSV und Lebensborn spielte zu diesem Zeitpunkt offenbar keine Rolle mehr. Es gab mehr Verbindungen und Parallelen als gedacht –
und auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Institutionen und Organisationen waren kleiner, als vermutet.

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