Straßenansicht von "Heim Friesland", dahinter eine Lindenallee, die zum Haus führt (1939) ©dsk

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Abgeschottet – skeptisch beäugt – integriert?
Lebensborn-Heime und ihre Nachbarschaft
 

„Das war immer ein bisschen geheimnisvoll“, erzählte mir ein alter Mann, den ich vor vielen Jahren interviewen konnte. Er war auf einem Bauernhof in der Nachbarschaft von „Heim Friesland“ aufgewachsen und gewohnt, mit anderen Kindern in der Gegend herumzustrolchen. Aber als der Lebensborn 1938 in die ehemalige Fabrikanten-Villa eingezogen war, fingen die Kinder an, das Gelände zu meiden.
Vielleicht war die Lage des Heims für die geheimnisvolle Aura verantwortlich:
weit ab von der Landstraße, mitten in einem großen Park, gesichert durch zwei Torhäuser, ein schweres Tor, einen hohen Zaun …
Das Bild einer abgeschotteten Lebensborn-Insel entspricht allerdings nicht der historischen Realität. In „Heim Friesland“ gingen Menschen ein und aus. Ein Arzt aus der Nachbarschaft kam regelmäßig ins Haus, um Mütter und Kinder zu betreuen. Lieferanten brachten Lebensmittel, Brennstoff, Medikamente, der Lebensborn-Vorstand tagte hin und wieder in der noblen Villa, zur Namensgebungsfeier fuhren SS-Mitglieder aus Bremen vor. Manche Mütter bekamen Besuch und kehrten im nahen Gasthof ein …

Andere Lebensborn-Heime gingen geradezu offensiv nach außen. Der Leiter von „Heim Kurmark“ zum Beispiel hielt bei der Sonnwendfeier im nahegelegenen Dorf die „Feuerrede“ – und am nächsten Tag berichtete die Zeitung. In Bad Polzin nahmen der Heimleiter und ein großer Frauen-Trupp aus „Heim Pommern“ (Schwestern, Vorschülerinnen, Pflichtjahrmädchen, Mütter) 1939 am 1.Mai-Aufmarsch im Ort teil. Abschottung sieht anders aus.
Und von „Heim Hochland“ – dem Musterheim des Lebensborn – erfuhr man in Steinhöring und Umgebung regelmäßig aus der Grafinger Zeitung, jedenfalls in den ersten Jahren. Da wurden per Stellenanzeige Hausmädchen und eine „perfekte Köchin“ gesucht. Später meldete die Zeitung, dass die Renovierung vorangehe oder der Neubau Fortschritte mache. Aus den Texten lässt sich übrigens erkennen, wie sich die Redakteure sprachlich herantasteten. Zuerst war von einem „Mütterheim“ die Rede, dann von einem „NS-Mütterheim“. Im August 1936 wurde die SS als Betreiber erwähnt, ein Jahr später hieß es „Verein Lebensborn“. Seitdem war es ein „SS-Mütterheim“. Und mit dem konnte man feiern!

Im November 1937 zum Beispiel das Richtfest. Mit dabei die „Gefolgschaft“ des Bauunternehmens, die SA, „Gäste aus Partei und Staat“, die Schuljugend und „Heiminsassen“. Für die Musik sorgte der „Kreismusikzug der NSDAP“ – für die Ideologie „Standartenführer Dr. Ebner“. Spaltenlang referierte die Grafinger Zeitung Ebners Rede, in der er sich über die SS, die Rasse und die Idee des Lebensborn ausließ. Anschließend ging es dann ins Gasthaus zur Post …
Ein halbes Jahr später berichtete die Grafinger Zeitung:

„23.6.1938 - Sonnwendfeier in Steinhöring
Das SS-Mütterheim Steinhöring feierte am Dienstagabend die Sommersonnen-
wende. SS, BDM und die Bevölkerung von Steinhöring marschierten zu dem Hügel bei der Bärmühle und entzündeten das Sonnwendfeuer. Zauberhaft züngelten die erhellenden Flammen zum nächtlichen Himmel empor. SS-Standartenführer
Dr. Ebner erinnerte an den altgermanischen Brauch …“
und so weiter und so fort.

Dass die Akzeptanz nicht durchgängig war, zeigt ein langer Bericht über einen Gerichtsprozess. Eine schwangere Frau war im Zug nach Steinhöring von einem Betrunkenen belästigt worden. Er hatte sich neben sie gesetzt, sie betatscht und beschimpft und offenbar als Hure bezeichnet (die Zeitung vermied den Ausdruck). Auch als die Frau sich wehrte und ein Zeuge protestierte, machte er weiter. Das Amtsgericht Ebersberg verurteilte ihn zu einem Monat Gefängnis, wegen Ehrverletzung gegenüber der Frau und Verleumdung des Mütterheims. Seine einmonatige Schutzhaft (Dachau?) wurde angerechnet, aber gleichzeitig stellten die Richter den Mann an den Pranger: Die Zeitung musste das Urteil veröffentlichen, ebenso die Gemeindetafel in Ebersberg und Steinhöring - mit voller Namensnennung. Das hatten nun alle zu befürchten, die unverheiratete Mütter missachteten und den Lebensborn – „eine Einrichtung des nationalsozialistischen Staates“ – verleumdeten.

Für die Übermittlung der Berichte aus der Grafinger Zeitung danke ich Ludwig Steininger, Historischer Verein/Landkreis Ebersberg und Bernhard Schäfer, Archivar der Stadt Grafing und Vorstand des Historischen Vereins/Landkreis Ebersberg.

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