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Das Lebensborn-Heim "Wienerwald":
Ein vierjähriges Forschungsprojekt geht zu Ende
 

Ein dreifacher Riss geht durch die Geschichte des riesigen Hauses am Rand des Wienerwald: Zuerst war es ein Lungensanatorium, später ein Lebensborn-Heim, noch später das Urlauberheim einer Gewerkschaft – und seit 22 Jahren steht es leer und verwandelt sich unaufhaltsam in eine Ruine.

Mit Focus auf die Lebensborn-Jahre (1938-1945) haben österreichische WissenschaftlerInnen vier Jahre lang über „Heim Wienerwald“ geforscht. Sie haben Interviews geführt und Dokumente studiert, ein memory-lab mit Zeitzeugen initiiert, mit Menschen aus Pernitz zusammengearbeitet (der zuständigen Gemeinde), eine Ausstellung entwickelt, in Kooperation mit einem docu-dance-Projekt künstlerische Zugänge erkundet – und natürlich Tagungen veranstaltet.

Zuletzt im November 2024 in St. Pölten, wo auch ich zu einem Vortrag eingeladen war. Zum ersten Mal wurde dort die komplette 120jährige Geschichte des Hauses in den Blick genommen.

Mich haben dabei drei Themen besonders beeindruckt. An erster Stelle die frühe Blütezeit des Hauses. 1903/04 von den Pneumologen Hugo Kraus und Arthur Baer erbaut und als Lungensanatorium eröffnet, hatte dieses bald einen exzellenten Ruf. Patientinnen und Patienten kamen aus dem In- und Ausland. Einer von ihnen war Franz Kafka. Er verbrachte allerdings nur sechs Tage dort – und starb wenig später. Ein anderer prominenter Patient: Ignaz Seipel, unter anderem zweimal österreichischer Bundeskanzler.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 machte sich der Lebensborn umgehend auf die Suche nach Immobilien in der „Ostmark“. Das Lungensanatorium eignete sich als Lebensborn-Heim – und es war leicht zu haben: Seine Besitzer hatten jüdische Wurzeln. Sie wurden enteignet, Hugo Kraus nahm sich das Leben, Arthur Baer konnte entkommen, starb aber schon 1941. Dass seine Urenkelin an der Tagung teilnahm, habe ich als eine schöne Verbindung der Geschichte mit der Gegenwart empfunden.
Nach dem Krieg mussten die Erben von Kraus und Baer um die Rückerstattung kämpfen. Behalten konnten sie die Immobilie aus finanziellen Gründen allerdings nicht. Weit unter Wert kam sie in die Hand der Metall- und Bergarbeiter-Gewerkschaft, die daraus ein Urlauberheim machte …   

Ein zweites Highlight war für mich ein Podiumsgespräch über „künstlerische Zugänge zur Geschichte von Heim Wienerwald“. Die Schriftstellerin Eleonore Rodler dachte laut über das Spannungsverhältnis von Fakten und Fiktion nach. Der Cellist Valentin Erben, im „Heim Wienerwald“ geboren, ließ sein Instrument sprechen. Darrel Toulon berichtete von seinem Projekt „born of war“, das Stimmen von Betroffenen, Musik und szenisches Spiel montiert und bereits mit Kriegskindern aus Uganda und Bosnien realisiert wurde. Als nächstes will Toulon das Thema Lebensborn-Kinder in den Focus nehmen.

Schließlich die Ausstellung, die im Projekt entstanden ist – von ihr hatte ich bisher nur Fotos gesehen. Mittlerweile ist sie durch Video-Interviews ergänzt worden. Was man sieht: gute Texte, feine Grafik, interessante Fotos – besonders wenn Betroffene anwesend sind. „Das bin ich mit meiner Mutter“, erklärte Helga S. jedem, der sich für die Fotos von Frauen und Kindern aus „Heim Wienerwald“ interessierte. Helga S. (81) hat alles mitgemacht: Das memory-lab, die Exkursion zum ehemaligen Lebensborn-Heim in Steinhöring, das docu-dance-Projekt. Sie hat die eigene Geschichte – unterstützt von den WissenschaftlerInnen – weiterrecherchiert und aufgeschrieben. Stolz dreht sie das schmale Bändchen in den Händen … Versöhnt mit der eigenen schwierigen Biografie.

Über das Forschungsprojekt berichtet diese Webseite
Dort bekommt man auch einen ersten Eindruck vom docu-dance-Projekt

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